Robotrontechnik im Fernsehen - Die Frau vom Checkpoint Charlie

Im April 2006 erreichte uns, nach anscheinend mehreren Fehlschlägen, eine Anfrage der UFA-Filmgesellschaft. Für die Dreharbeiten eines zweiteiligen Spielfilms mit Titel "Die Frau vom Checkpoint Charlie" wurde als Requisiten Rechentechnik aus der DDR benötigt.
Die betreffenden Szenen sollten in Leipzig im ehemaligen Robotron-Schulungszentrum, einem jetzt leerstehenden Gebäudekomplex, gedreht werden. Der Film sollte dann im Herbst 2007 in der ARD erst-ausgestrahlt werden.


Fassade des Innenhofs

Die meisten Büroräume boten einen traurigen Anblick.

Typische DDR-Kunst in den Fluren...

...und im Innenhof



Der Inhalt des Films

Sara Bender, eine junge Frau, versucht nach frustrierenden Erfahrungen mit den DDR-Staatsorganen illegal das Land zu verlassen, was fehlschlägt. Nach Verbüßung der Haftstrafe wird sie in die Bundesrepublik abgeschoben. Allerdings ohne ihre beiden Kinder. Fortan macht sie durch spektakuläre Aktionen, u.a. am Berliner Grenzübergang "Checkpoint Charlie", auf ihr Schicksal aufmerksam.


Filmhelden: Sara und Peter

Sara protestiert

Beruflich arbeitet Sara Bender am Anfang des Films in der Geräte-Endkontrolle bei Robotron und speziell für diese Szenen wurde unsere Technik als Requisiten gebraucht.


Die Aufgabe

Da der Film 1982 spielen sollte und sieben Geräte für den Film gebraucht wurden, gab es als Geräteserie nur eine Wahl: die Bürocomputer vom Buchungsmaschinenwerk Karl-Marx-Stadt (Chemnitz). Dass die Handlung in Erfurt spielen sollte (wo eigentlich keine Computer, sondern nur Schreibmaschinen produziert wurden), mussten wir als historische Ungenauigkeit hinnehmen.
Äußerlich sollten die Geräte als "Neugeräte" gelten und möglichst auch funktionsfähig sein.

Die Arbeit begann also mit dem Zusammensuchen der Rechner, da natürlich keiner der Hobbykollegen diese Geräteanzahl allein stellen konnte. Historisch exakt wären eigentlich nur Rechner mit 8-Zoll-Laufwerken oder mit MFS1.2-Laufwerken gewesen. Erstere waren überhaupt nicht verfügbar, von letzterer ließen sich nur 2 Exemplare auftreiben. So mussten wir also auch Geräte jüngeren Baujahrs nehmen, was aber optisch im Film kaum auffallen wird. So wurden also folgende Computer-Geräte für den Film ausgewählt: An Einzel-Komponenten: Außerdem an Nichtcomputer-Geräten: Und natürlich die zugehörigen Kabel sowie diverse Dokumentationshefte und Bücher.


Die Reparaturen

Der nächste Schritt bestand darin, die Geräte optisch und technisch wieder in Bestzustand zu bringen. Ein Teil der Rechner waren noch arg verdreckt, mussten also weitgehend zerlegt und in Einzelteilen gereinigt werden. Um Lackschäden (Kratzer) zu korrigieren, habe ich mir nach längerem Zaudern eine Büchse braungrüne Farbe ausmessen und farbtongenau anmischen lassen.
Bei zwei Rechnern erwiesen sich die Zeilentrafos als instabil: nach 1 Stunde Lauf fingen die Zeilentrafos an, Essigsäure abzugeben. Da bei den Dreharbeiten lange Gerätelaufzeiten zu erwarten waren, entschloss ich mich zum Austausch der betreffenden Zeilentrafos.
Die Reparaturarbeiten endeten mit einigen mehrstündigen Dauerlauf-Tests, die auch dazu dienten, die Geräte zu konditionieren, also Feuchtigkeit aus der Elektronik zu treiben und Kondensatoren zu formieren.


Zerlegter Rechner A5120

Das einzige Gerät, dass sich als (vorläufig) unreparierbar herausstellte, war die S6001-Schreibmaschine. Aber die sollte sowieso nur unbenutzt im Nachbarzimmer stehen.


Schreibmaschine S6001

Alle anderen Geräte waren also funktionsfähig. Auch wenn von vornherein klar war, dass im Film nicht alle Geräte in Funktion gezeigt werden sollten, war dies doch günstig, um bei eventuellen Geräteausfällen während der Dreharbeiten die Geräte jederzeit tauschen zu können.


Software

Der nächste Schritt war der Aufbau der zugehörigen Software. Im Jahr 1982 gab es nur 1 Betriebssystem für die Bürocomputer: SIOS. Die Programme INIT und SGEN lieferten die gewünschten repräsentativen Bildschirmausgaben.


SIOS1526, Befehl INIT

SIOS1526, Befehl SGEN, Auswahl der Module

Nun ist der Kernel von SIOS, genauso wie die anderen Betriebssysteme, hardwareabhängig. Und bei unserem Geräte-Ensemble hatte faste jeder Rechner eine andere Hardware: So musste für jede Hardwareart eine eigene Systemdiskette generiert werden. Dabei erwiesen sich die MFS1.2-Laufwerke als besonders tückisch: Nahezu kein Laufwerk funktionierte stabil, die Erzeugung der Disketten kann nur auf dem Originallaufwerkstyp gemacht werden und außerdem fehlte mir schlicht die Erfahrung bei der Nutzung dieser seltenen Laufwerke, ganz zu schweigen von den notwendigen Anschlusskabeln. Nach zwei Bastel-Abenden hatte ich die Rechner zumindest so weit, dass jeweils 1 Laufwerk arbeitsfähig war.

Genauso schwierig wurde es beim Terminal K8911: Ein Terminal ist ja technisch nicht in der Lage, Software selbst zu laden. Die Bildschirmtexte mussten also per IFSS-Kabel von einem der Bürocomputer auf das Terminal geladen werden. Ich nutzte dazu die Druckerfunktionen des Betriebssystems SCP.

Weiterhin sollte einer der Bürocomputer die Illusion erwecken, dass der Schauspieler produktiv an ihm arbeitet. Die Lösung dazu war ein BASIC-Programm, dass den Anschein erweckte, als würde man damit Rechner-Hardware testen. Das Programm konnte bis zu 4 Minuten Ausschriften erzeugen, die optisch den echten Prüfprogrammen ähnlich sahen und Bedienfehler sicher ausschlossen. Im Anschluss sollte ein Fehlerprotokoll gedruckt werden. Optische Vorlage war das Programm HARDY.


Umsonst programmiert: K8924-Software...

...genauso wie das simulierte WWS auf dem Terminal

Dass das Programm (ebenso wie das Terminal-Programm) wegen der Kameraführung später gar nicht zum Einsatz kommt, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorherzusehen.


Transport

Damit waren die Vorbereitungen abgeschlossen und der Transport konnte beginnen. Die Geräte hatte ich zwecks Vermeidung von Beschädigungen in Luftpolsterfolie eingepackt. Spätestens jetzt erkannt ich, dass mein Korridor für diese Geräteanzahl hoffnungslos zu klein war. Ein Mitarbeiter der UFA holte anschließend die Geräte mit einem Kleinbus ab.


Bis zur Zimmerdecke stapeln sich die Rechner im Flur.

Einen Tag später sind die verpackt.

Die Geräte im Transporter

Die Geräte im Transporter

In Leipzig angekommen, mussten die Geräte als erstes ins 1. Obergeschoss transportiert werden, ein Fahrstuhl funktionierte in dem Gebäude leider nicht mehr. In einem ehemaligen Büroraum, der früher in Wirklichkeit zur Kopier-Abteilung des Schulungszentrums gehörte, sollten die Geräte aufgebaut werden.

Da meine tägliche Anfahrt von zuhause zu lange gedauert hätte, nutzt ich das Angebot der UFA, die zwei Nächte in Leipzig im Hotel zu verbringen. Die Übernachtungen waren wirklich erstklassig und auch die kulinarische Versorgung war gut.


Büro Sara

Aus einem ehemaligen Rechenzentrum in Berlin hatte die UFA zusätzlich einige schwergewichtige Computertechnik beschafft: Diese Geräte bildeten z.T. zusätzliche Kulissen und sollten uns nach den Dreharbeiten noch einige Kopfzerbrechen bereiten.

Die Bereitstellung des Stroms durch die UFA klappte problemlos, dicke Leitungen und träge Sicherungen waren durch die aufgestellten Scheinwerfer sowieso vorhanden.

Dann kam leider die erste negative Erfahrung: Alle Robotron-Typenschilder mussten überklebt werden, damit der Film nicht als Schleichwerbung für die noch existierenden Robotron-Nachfolgefirmen ausgelegt werden konnte. Der MDR hatte in der Vergangenheit in dieser Richtung bei anderen Firmen schlechte Erfahrungen gemacht. Ich fand es sehr schade, denn gerade die Robotron-Schilder wären ein Zeugnis für die Echtheit der Geräte gewesen.


Der Arbeitsplatz von Sara Bender

Drucker vor Saras Rechner unter den wachen Augen von Arthur.

Der Arbeitsplatz von Saras Arbeitskollegen Jochen

Der Arbeitsplatz von Saras Arbeitskollegin Britta

Jochens Arbeitsplatz mit K8911, PBT4000 und K8924

Das Vorzimmer. In der Mitte der SECOP-Kopierer.

Die Arbeitsplätze waren im Vergleich zur Wirklichkeit hoffnungslos mit Gegenständen überfüllt . Da die Kamera aber immer nur Ausschnitte zeigen würde, war so sicher gestellt, dass immer irgendwas davon sichtbar ist.


stilechte Wand-Dekoration

Regal mit Rechentechnik. Links zwei BD4000.

Der Raum wurde anschließend mit Scheinwerfern gespickt, weitere befanden sich vor den Fenstern und simulierten zusammen mit einer Beregnungsanlage das gewünschte Wetter.


Die Dreharbeiten

Der Dreh eines Films wird jeweils aus kurzen Sequenzen zusammengesetzt, die nicht unbedingt in der zeitlichen Reihenfolge des späteren Films stehen. Diese Sequenzen sind meist kürzer als 1 Minute und werden so lange wiederholt, bis Regisseur, Schauspieler und Kameramann zufrieden sind, also praktisch ungefähr 20 mal. Für die Mitwirkenden bedeutet das immer abwechselnd Wartezeiten und Stresszeiten.


Drehpause.

Drehpause. Rechts die Filmkamera.

Blick ins Nachbarzimmer. Vor dem Fenster die Beleuchtung

Einrichten der Software

Bei den Dreharbeiten zeigte sich, dass die Hauptdarstellerin auch professionell Schreibmaschine schreiben kann. Allerdings mit dem Einlegen von Disketten klemmte es (im wahrsten Sinne des Wortes) mächtig und ich fürchtete ernsthaft um das Überleben der Diskettenlaufwerke.

Aus akustischen Gründen wurde leider ein Großteil der Technik überhaupt nicht eingeschaltet. Dies betraf vor allem die alten A5120, die noch mit den lauten Lüftern aus Waldheim bestückt waren. Um keine magnetischen Einstreuungen in das Mikrofon zu bekommen, musste auch das Terminal abgeschaltet werden. Der Fokus der Kameraführung lag auf den Gesichtern der Schauspieler, sodass die Rechner, an denen sie saßen, nur von der Rückseite sichtbar waren. Damit war die selbstgeschriebene Rechnertest-Software samt Druckerprogramm auch hinfällig. Die einzigen in Funktion befindlichen Rechner waren damit die beiden, die hinter den Schauspielern standen und somit höchstens halb verdeckt im Film auftauchen werden.

Die Dreharbeiten im Robotron-Gebäude waren auf 3 Tage angesetzt, in dieser Zeit war ich auch dort anwesend. Dann gab es aber doch Verzögerungen und ein 4. Drehtag war notwendig. Da ich keinen Urlaub mehr hatte, übernahm unser Hobbykollege Arthur die Aufsicht der Geräte.


Rücktransport

Der Abbau der Rechner ging ohne Probleme voran: mit dem Verpacken hatten wir ja nun hinreichend Erfahrung. Der Rücktransport nach Crimmitschau erfolgte wieder mit einen Transporter der UFA, von da aus wurden die Geräte dann schrittweise an ihre Besitzer zurück verteilt.

Nun kam das Problem mit den Geräten aus dem Berliner Rechenzentrum: die UFA benötigte die Geräte nicht mehr und beabsichtigte, sie nach den Dreharbeiten zu verschrotten. Da diese Geräte heute z.T. Unikate darstellen oder zumindest sehr selten sind, sollten sie unbedingt gerettet werden. Zum Glück fanden sich auch Abnehmer und so kamen die größten Geräteblöcke ins Luftfahrtmuseum Merseburg und ins Rechenwerk Halle. Die kleineren Geräte wurden auf die Hobbykollegen aufgeteilt und so waren zum Schluss alle Geräte vor der Verschrottung bewahrt. Den Transport nach Merseburg übernahm freundlicherweise die UFA, wo die Geräte zunächst eingelagert wurden und später dann in den Ausstellungen zu sehen sein sollen.


Resümee

Falls der Übeltäter hier mitliest: Ich möchte meine Kamera bitte wieder zurück haben!


Danksagung

Ich danke für die Mitarbeit:


Das Robotrontechnik-Team...

...das die Kulissen auch gleich für eigene Aufnahmen nutzte

Links

UFA Filmgesellschaft




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