Die Geschichte der Rechenstation Steinkohle Zwickau

Die Geschichte der Rechentechnik für die Steinkohlenwerke begann in den Jahren 1947 – 1948, der Zeit, die geprägt war vom Kampf um das tägliche Brot und vom Neuaufbau der Wirtschaft. In dieser Zeit gab es Menschen im Industriebereich Steinkohle, die keine Schwierigkeiten davon abhalten konnten, den einmal gefassten Beschluss in die Tat umzusetzen, die Verwaltungsarbeit durch den Einsatz von Lochkartenmaschinen zu vereinfachen und zu erleichtern. Ziel war eine Rationalisierung der Verwaltungsaufgaben und Übernahme von arbeitsintensiven Routinearbeiten. Im Steinkohlenwerk Karl Liebknecht in Oelsnitz wurden die ersten Lochkartenmaschinen aufgestellt, die von der IBM-Gesellschaft geliefert wurden. Organisatorisch wurden die innerbetrieblichen Abrechnungen des Steinkohlenwerkes untersucht und die Arbeiten mit den größten Datenmengen auf die lochkartentechnische Aufbereitung umgestellt. So wurden nacheinander die Material- und die Lohnabrechnungen übernommen. Ab 1949 wurde die Lohnabrechnung des August-Bebel-Werkes in Oelsnitz durchgeführt. 1950 zog die Lochkartenstation, die nach dem Erfinder der Lochkarte auch als "Hollerith-Abteilung" bezeichnet wurde, nach Zwickau in das Haus der Steinkohle in der Lothar-Streit-Straße um. Diese Gebäude wurde damals von der VVB Steinkohle, zeitweise auch als Bergbaupoliklinik, genutzt. In diesem Jahr wurde für ca. 12 – 14.000 Mitarbeiter in drei Werken Lohn bzw. Gehalt abgerechnet. Nachdem ab 1951 die Werke "Martin Hoop" und "Karl Marx" hinzukamen, stieg diese Zahl auf ca. 23.000 an. Gleichfalls wurden ca. 40.000 Artikel in der Materialabrechnung bearbeitet.


Sortierraum mit IBM-Geräten

Tabellierraum mit IBM-Geräten

IBM-Tabelliermaschine

Bis zum Jahr 1964 kam die Abrechnung der Zentralwerkstatt Niederwürschnitz und der Steinkohlenwerke Plötz und Freital hinzu. Danach wurden eine Reihe anderer Abrechnungsgebiete übernommen: Später wurden auch Leistungen in Form von Abrechnungen und Datenerfassungen für die "GHG Lebensmittel Reichenbach", für das "WBK Glauchau", für die "GHG Textil Zwickau" in erheblichem Umfang erbracht. Gleichfalls wurden für den Raum Sachsen, Südbrandenburg und Westthüringen die Energiebücher monatlich angeliefert, die handgeschriebenen Daten erfasst und geprüft. Für die umliegenden Niederlassungen der Handelsbetriebe HO (Handelsorganisation) und Konsum wurden teils wöchentlich, teils monatlich tausende Daten erfasst, geprüft und nach von den Auftraggebern verlangten Kriterien ausgewertet (Tabellen ausgedruckt). Ab Ende der sechziger Jahre erfolgten die Umstellungen von den bis dahin im Einsatz befindlichen IBM-Maschinen auf neue vom Büromaschinenwerk Sömmerda gelieferten Sortier- und Tabelliermaschinen. Die sieben Tabelliermaschinen Soemtron 402 besaßen höhere Verarbeitungsgeschwindigkeiten und wurden unterstützt von angekoppelten Summenlochern. Die noch vorhandenen IBM-Rechenlocher und Sortiermaschinen wurden von IBM 1973/74 in der damaligen DDR zusammengesucht, abgeholt und letztendlich nach Übersee verschifft, um sie in IBM-Museen auszustellen.


Bull-Rechenlocher

Lochkartenstanzer 415

Jugendkollektiv mit Tabelliermaschine

Außerdem wurden über die VVB Steinkohle zwei Bull-Doppler mit Elektronenrechner ASM 18 und ein Lochkartenmischer besorgt. In der Datenerfassung erfolgte die Umstellung auf Motorschrittlocher und –prüfer 415/416 von Soemtron Sömmerda. Die konsequente Nutzung der für die damalige Zeit äußerst effektiven Maschinen im Zusammenhang mit den technologisch-organischen Fähigkeiten einer Reihe von Mitarbeitern hatten der Rechenstation Steinkohle einen hervorragenden Ruf beschert. In diesem Zeitraum waren knapp 100 Mitarbeiter beschäftigt und im Gegensatz zu manch anderen Datenverarbeitungseinrichtungen leistungsmäßig voll gefordert und bis zum Anschlag mit Arbeit ausgelastet. Das zeigten die damaligen Betriebsergebnisse mit bis einigen hunderttausend Mark Gewinn jährlich.

Parallel zur Entwicklung der Lochkartentechnik wurde 1966 über die VVB Steinkohle ein elektronischer Kleinrechner SER 2c angeschafft und eine Abteilung "Elektronische Datenverarbeitung" gegründet. Dieser Rechner arbeitete auf Lochstreifenbasis und war für die Datenverarbeitung mit hohem mathematischen Aufwand und geringem Datenumfang konzipiert. Berechnungen für die Markscheiderei, für die Normenabteilungen, für die Kokerei nahmen den Ingenieuren und Technologen dort sehr viel aufwendige manuelle Arbeiten ab. Am 01.01.1968 wurde diese Abteilung dem August- Bebel- Werk zugeordnet.

Ab 1970 wurde ein neuer Kleinrechner C8205 mit drei Lochstreifenlesern, zwei Lochstreifenstanzern und einem Schreibwerk eingesetzt. Die etwa achtfache Rechengeschwindigkeit gegenüber der des SER 2c ließ weitere Abrechnungen zu, wie z.B.: die Energiebilanzen der Kraftwerke und die die Brauch- und Abwasserabrechnungen mit Fluss- und Zählertopografie der Steinkohlenwerke.


Arbeit am Lochkartensortierer, 1979

1985 wurde die Abteilung EDV der Abteilung SWF/Rechentechnik zugeordnet und mit der Verschrottung der Kleinrechner personell auf die einzelnen Abschnitte aufgeteilt.

Im Laufe der Umstrukturierung und Schließung der Steinkohlenwerke in den siebziger Jahren war die Zukunft der Rechenstation und deren Mitarbeiter sehr ungewiss. Pläne über eine eventuelle Ausgliederung und eine teilweise Übernahme durch die Energieversorgung Karl-Marx-Stadt hatten Stagnationen in der Entwicklung und zeitweilige Reduzierungen der Mitarbeiterzahlen zur Folge. Das änderte sich Ende der 70er / Anfang der 80er Jahre und die Rechenstationen und EDV-Zentren des Ministeriums für Kohle und Energie wurden zu Abteilungen der Sozialistischen Wirtschaftsführung (SWF) umbenannt und neu organisiert. Diese Abteilungen waren in die drei Abschnitte "Wissenschaftliche Leitungsorganisation (WLO)", "Organisation und Programmierung" sowie Rechentechnik unterteilt. Die meisten der Betriebsangehörigen benutzten aber weiterhin die Bezeichnungen Hollerith oder Rechenstation, was für die alten Hasen dort immer als Lob und Auszeichnung empfunden wurde.

Die neue Ausrichtung der Rechenstationen hatte den Vorteil, dass 1979 ein neues Kleinrechnersystem KRS 4201 (2- Schrankvariante) angeschafft werden konnte. Dieses System war mit Schaltkreistechnik ausgestattet und hatte neben dem Prozessor einen sehr schnellen elektronischen Kernspeicher (Hauptspeicher) zwei Magnettrommeln, vier Magnetbandgeräte, je zwei Lochstreifenleser und –stanzer, drei Seriendrucker (Nadeldrucker) und zwei Bedienschreibmaschinen. Auf dieses Rechnersystem wurden nach und nach alle Arbeiten übernommen, die auf den Lochkartenmaschinen und auf den Kleinrechnern der Abteilung EDV abgearbeitet wurden. Hilfreich war für diesen Übergang auch ein Lochkartenlesegerät, dessen Elektronik durch die Wartungstechniker für den Anschluss an den KRS 4201 modifiziert wurde. Damit wurde die äußerst effektive und durch die Datenprüfung fast fehlerfreie Datenerfassung für das neue Rechnersystem verarbeitbar gemacht. Den Wartungstechnikern war es außerdem gelungen, einen gebrauchten Paralleldrucker der Großrechneranlage R300 aus dem "Kombinat Schwarze Pumpe" mit Hilfe eines selbst entwickelten Interfaces an den KRS zu koppeln, um damit die benötigten riesigen Datenmengen Zeit-effektiv ausdrucken zu können.


KRS-Rechenzentrum, 1979

Etwa 1985 wurden die ersten Kleincomputer vom August-Bebel-Werk angeschafft und auf verschiedene produktionsnahe Abteilungen aufgeteilt. In den folgenden Jahren hielten die ersten Bürocomputer BC5120/5130 und Personalcomputer PC1715 Einzug in verschiedene Abteilungen des Betriebes. In den meisten Fällen wurden diese durch Mitarbeiter der Rechenstation programmiert, repariert und gewartet und das Bedienpersonal geschult und fachlich betreut. Mit diesen Geräten war es möglich geworden, in den einzelnen Fachabteilungen die Daten an Ort und Stelle zu erfassen, auszuwerten und auszudrucken, wenn ein Drucker vorhanden war. Wieder waren neue und vollkommen andere Aufgaben von den Mitarbeitern der Abteilung zu lösen. Während bis zu diesem Zeitpunkt der Schwerpunkt auf Datenerfassung, -verarbeitung und –auswertung lag, verschob sich dieser immer mehr in Richtung Datenorganisation und Programmierung für die neuen Computer.

Nach der Wende 1989 kamen die ersten IBM-kompatiblen Personalcomputer zum Einsatz. Viele Mitarbeiter wurden in Vorruhestand versetzt oder entlassen. Immer weniger Mitarbeiter erstellten die noch notwendigen Programme für die Abrechnungen des ständig kleiner werdenden August-Bebel-Werkes. Fremdaufträge fielen nach und nach mit dem Zusammenbruch oder der Liquidation dieser Betriebe weg. Durch die neuen gesetzlichen Regelungen und Bedingungen für die Abrechnungen aller Branchen war es nötig, neue Software zu erwerben und alle Anpassungen selbst zu programmieren. Auch zu diesem Zeitpunkt mussten eine ganze Reihe von Mitarbeitern an Schulungen und Lehrgängen teilnehmen, wie das auch bei den vorherigen Umstellungen immer der Fall war. Ständige Qualifizierung und Ausbildung war für viele eine ständige Herausforderung immer am Ball zu bleiben.

1991 erfolgte der Umzug mit wenigen Mitarbeitern und mit den neuen IBM-kompatiblen Computern ins Bürogebäude des Werkes. Die gesamte Rechentechnik wurde verschrottet, vorhandene Archivmaterialien aller Art vernichtet. Die älteren Kolleginnen und Kollegen, die die Möglichkeiten des Vorruhestandes bzw. Altersübergangs nutzen konnten, waren zumindest finanziell abgesichert und versorgt. Für die meisten im mittleren Alter blieb nur die Suche nach neuer Arbeit in anderen Branchen. Trotz Umschulungen gab es für diese dann kaum im Umfeld noch Arbeit. Und so wurde ein riesiges Potenzial an Fachwissen und Kompetenz volkswirtschaftlich verschleudert. Der letzte Mitarbeiter wurde mit Schließung des Werkes im Juni 1992 entlassen.

Seit 1970 wurden jedes Jahr 2 Facharbeiter für Datenverarbeitung/EDV als Lehrlinge eingestellt, von den Mitarbeitern betreut und zu erfolgreichen Abschlüssen geführt. Ab 1984 war es nach Beschlüssen der Regierung möglich, in der Fachrichtung Elektronik Facharbeiter auszubilden. So wurden bis zur Wende jährlich ebenfalls je 2 Lehrlinge ausgebildet.

Die Verantwortlichen und Leiter haben ihr Handwerk von der Pike auf in ihrem Betrieb gelernt, sich qualifiziert und studiert. Als Ergebnis war eine Nähe zum Betrieb, zu den Mitarbeitern und die Kenntnis der betrieblichen Besonderheiten zu bemerken. Als Fazit bleibt: In der Rechenstation Steinkohle wurde über die Jahre eine hervorragende Arbeit geleistet, auf die alle stolz sein können und es vermutlich auch sind.

Autoren:
Ing.- Ökonom Karl Illert (langjähriger Leiter der Rechenstation Steinkohle Zwickau)
Diplomingenieur Dieter Lorenz (Leiter der Wartung)




Letzte Änderung dieser Seite: 03.05.2023Herkunft: www.robotrontechnik.de