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Autor Thread - Seiten: -1-
000
28.03.2020, 15:01 Uhr
AE
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Ich kann nicht nur Taschenrechner!
Den verordneten Hausarrest nutzend, kümmere ich mich derzeit auch um die Aufarbeitung mechanischer Rechenmaschinen zu technikmusealen Vorführungs- oder Ausstellungszwecken.

Hier als ein Beispiel eine Feliks A3



[Foto von <www.leningrad.su/museum/show_big.php?n=1066>]



Das Exemplar auf meinem Tisch wurde um 1930 in der "Staatlichen Fabrik für Rechenmaschinen namens Genosse Dsershinski in Moskau" in dritter Variante des ersten Modells gebaut und offensichtlich in Schwaben genutzt und gewartet. Der wahrscheinliche Händler und gleichzeitig Werkstatt verewigte sich auf der Rückwand.



Bereits im 17. Jahrhundert (!) skizzierte der deutsche Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) das Funktionsprinzip einer solchen Rechenmaschine.
Der schwedische Feinmechaniker und Ingenieur Willgodt Theophil Odhner (1845-1905) war nicht der Erste, der eine solche Maschine baute, doch er verbesserte die Konstruktion soweit, daß sie ab ca. 1886 zunächst Werkstatt mäßig, dann ab ca. 1890 industriell in seiner Fabrik in Sankt Petersburg (Rußland) hergestellt werden konnte. Einige Millionen Sprossenrad-Rechenmaschinen wurden in den folgenden 80 Jahren nach dem Odhnerschen Prinzip gefertigt.
Die Lizenz zum Bau und Vertrieb seiner Rechenmaschine in Belgien, Deutschland und der Schweiz erwarb auf Anregung des leitenden Ingenieurs Franz Trinks die Braunschweiger Firma Grimme, Natalis & Co. 1892. [1] Das bildete den Ausgangspunkt des deutschen Sprossenrad-Rechenmaschinenbaus (Brunsviga, Thales, Schubert, Triumphator, Lipsia, Walther u.a.).
Odhners Nachfahren flüchteten während der Oktoberrevolution aus Rußland und begannen 1918 in Göteborg (Schweden) mit der Produktion der "Original Odhner". [2] Die Fabrik in Petrograd wurde 1918 verstaatlicht und die Produktionsanlagen nach Moskau verlagert. Zusammen mit der Fabrik Suchschewski wurde daraus die "Staatliche mechanische Fabrik namens Genosse Dzerschinski" gebildet. Die dort produzierten Rechenmaschinen erhielten ab ca. 1928 den Namen Feliks zu "Ehren" des polnisch-russischen Berufsrevolutionärs und ersten Kommandeurs der Tscheka Feliks Dzierzinski (polnische Schreibweise).



Die konstruktive Lösung Odhners für seine Sprossenrad-Rechenmaschine funktioniert so: Eine Kulisse/Führungsnut des Einstellhebels (1) schiebt für jede eingegebene Ziffer soviele Sprossen (2) radial aus den Eingabe-Grundkörper, wie deren Wert entspricht. Beim Drehen der Antriebskurbel greifen diese Sprossen in ein Zwischenrad (3) ein und drehen so das Zählrad (4) um den betreffenden Betrag weiter. Der Zehner-Übertragsnocken (Einzahn) zwischen den Stellungen "0" und "9" verschiebt den Zehner-Übertragshebel (5) so, daß die Zehnersprosse (6) der nächst höheren Stelle axial verschoben wird, in das zugehörige Zwischenrad eingreift und so auch das Zählrad um den Wert Eins weiterbewegt. Damit der Kraftaufwand vor allem bei mehrfachem Zehner-Übertrag gering bleibt, sind die einzelnen Sprossenräder leicht gegeneinander Winkel versetzt.
Das Umdrehungszählwerk arbeitet mit einem Zählfinger, der nach dem Prinzip eines Kurbeltriebs das Zählrad der gewählten Stelle um Eins pro Kurbelumdrehung weiterschaltet. Es hat keinen Zehner-Übertrag, sondern zeigt nach dem Löschen bei beginnender Subtraktion/Division die Zahlen rot an.
Eine Besonderheit der Feliks A3 ist die einfache, jedoch funktionierende mechanische Lösung für den Transport des Resultatswerk-Schlittens: Beim Herunterdrücken des Transporthebels wird die Verriegelung gelöst und zugleich durch die spezielle Ausbildung des Hebels der Schlitten nach rechts oder links bewegt. Die Verschiebung wird durch ein federnd gelagertes Formstück auf genau eine Stelle begrenzt. Beim Loslassen rastet die Schlittenverriegelung wieder ein.
Ein Mangel der Feliks A3 ist die fehlende Glocke für die Division (zumindest ist nicht erkennbar, daß eine solche vorgesehen war).



Das mir vorliegende Exemplar einer Feliks A3 kam für sein Alter von ca. 90 Jahren in einem ansprechenden Zustand: Leider verdeckte viel moderne, schwarze Farbe ein Großteil der ursprünglichen Beschriftung. Wie sich später zeigte, hatte man diese erhabenen Buchstaben noch dazu weitgehend abgeschliffen. Die Einstellschieber für die Kommaposition fehlten. Der Zehner-Übertrag in die vierte Stelle funktionierte nicht.
Nach dem Öffnen der Verkleidung (für Front und Resultatswerk aus Messingblech) zeigte sich, sie war wahrscheinlich länger als 50 Jahre nicht mehr gereinigt bzw. gewartet worden. So durfte ich einige "Wolle" beräumen. Auch gab es etliche Stellen mit verharzten Ölresten, die ich anlöste und entfernte.
Um die Ursache des Zehner-Übertragsfehlers zu ergründen, galt es, den Resultatswerk-Schlitten auszubauen und zu zerlegen. Das erwies sich als nicht ganz einfach: Als erstes mußte ich den Anschlagnocken suchen, der die maximale Schlittenbewegung begrenzt. Er ist nach dem Entfernen des Bodenbleches von unten zugänglich. Doch verhindert dann noch der Zählwerksfinger das Herausschieben des Schlittens. Die Lagerachse des Zählwerksfingers muß ausgebaut werden. Dazu ist die Verkleidung des Schlittens abzuschrauben und der Schlitten nach rechts in eine Position zu schieben, die das Lösen der Madenschraube ermöglicht. Danach kann die Achse nach innen herausgezogen und der Zählwerksfinger nach oben weggeklappt werden. Der Resultatswerk-Schlitten läßt sich nun in Richtung der Kurbel herausziehen.
Nach dem Ausbau der Achse für die Zwischenräder (wieder durch eine Madenschraube gesichert), ließen sich die Zehner-Übertragshebel herausklappen. Dabei fiel auf, der Arretierstift des dritten Hebels saß in der Führungsbohrung fest. Also auch noch die Achse der Übertragshebel ausgebaut (mit zwei Schrauben gesichert, zwei weitere fehlten offensichtlich) um hinreichend Bewegungsfreiheit am defekten Hebel zu erlangen. Mit viel Geduld und Kriechöl machte ich den Arretierstift dann wieder beweglich und entfernte ihn letztendlich aus der Bohrung. Von der dahinter liegenden Zylinderfeder waren in Folge von wahrscheinlich Korrosion rund 1,5 Windungen abgebrochen. Nicht nur daß dadurch das Federspiel verkürzt war, sie behinderten zusätzlich noch den Rest der Feder, in dem sie diesen verklemmten. Doch wie nun Ersatz für die gebrochene Feder beschaffen (ca. 1,9 mm Durchmesser bei 8 mm Länge und einem Drahtdurchmesser von 0,25 mm)? Ich entschied mich für ein Strecken des Federrests, da wohl kaum ein strapaziöser Büroeinsatz der Rechenmaschine jemals wieder bevorsteht. Zwar ist dadurch die Federkonstante verkleinert, doch sollte für Vorführungen zumindest die Funktion gegeben sein, zumal ich diesen Zehner-Übertragshebel in die 12. Stelle einbaute.



Nun nur noch alles wieder zusammengebaut (natürlich vorher die Teile gereinigt und mit Feinmechanik-Öl vorsichtig gefettet), ohne daß Teile fehlen oder übrigbleiben, und siehe, die alte Feliks-Rechenmaschine funktioniert wieder (soweit ich das beurteilen kann). Es bleibt jedoch noch die Aufgabe der Wiederherstellung der "alten Schönheit" ...



Es ist doch ganz gut, daß man in der Schule polytechnischen Unterricht erhielt!

[1] Brunsviga (1892-1959), Mechanische Rechenmaschinen als Welterfolg; Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, 37. Jahrgang, Heft 2 / 1992

[2] <www.rechnerlexikon.de/Odhner.html>

(Vorstehender Aufsatz hätte auch ein Vortrag in Garitz sein können.)

6 Tippfehler korrigiert - Danke für die Hinweise

Dieser Beitrag wurde am 29.03.2020 um 08:31 Uhr von AE editiert.
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001
28.03.2020, 16:52 Uhr
MiRa



sehr schön ...
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002
28.03.2020, 17:30 Uhr
Stephan Hloucal



Felix, ein echter Tschekist!
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