Großrechner R300

(Alias R 300, R-300, robotron 300)

Der R300 war in den 1960er Jahren der verbreitetste Großrechner der DDR. Er füllte zeitlich den Raum zwischen dem R100 und dem R21 aus.
1966 wurde der R300 auf der Messe "Interorgtechnika" erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Zwischen 1968 und 1971 wurden dann ca. 350 Exemplare des R300 gebaut, eine für die damalige Zeit große Stückzahl. Zentraler Hersteller war Robotron-Elektronik Radeberg. Die Entwicklung der Komponenten wurde in verschiedenen Firmen durchgeführt: Aus dieser Zusammenarbeit der Firmen entstand später das Kombinat Robotron.


Großrechner R300.
Vorn der Maschinentisch, dahinter der Bedientisch.

Großrechner R300.
Vorn rechts und links Lochkartengeräte.

Arbeit an der Konsole des R300

Zeitgleich mit dem R300 führte man einen Typenbau für Rechenzentren ein, der in wenigen Variationen vorkam und den Belangen der Anlage ideal angepasst war. Nach Ersetzen der R300 durch modernere Großrechner wurden diese Gebäude meistens bis 1990 oder sogar darüber hinaus weiter genutzt. Einige R300 wurden auch in anderen Gebäuden aufgestellt.

Der Preis für einen R300 lag bei ca. 5,5 Millionen Mark. Um diese große Investition zu amortisieren, wurden die R300 rund um die Uhr im 3-Schicht-System eingesetzt. In regelmäßigen Abständen (meist 1 Stunde pro Tag und 1 Schicht pro Woche) wurde eine Wartungsschicht durchgeführt, um Defekte an der Anlage (meist im mechanischen Bereich, besonders der Lochkartentechnik) zu beheben.


Wartungsarbeiten am R300

Wartungsarbeiten am R300

Einige Rechenzentren hatten sich angewöhnt, zweimal im Jahr eine schnellere Taktkarte zu verwenden und abweichende Versorgungsspannungen einzustellen in der Hoffnung, dass dadurch Ausfälle an "müden" Steckeinheiten auftreten.

Um eine gute Auslastung zu erreichen, wurden die Berechnungen nicht interaktiv, sondern über eine Stapelverarbeitung gemacht. Die Anwender stanzten ihre Programme also im Vorfeld mit anderen Geräten auf Lochband oder Lochkarte und gaben diese im Rechenzentrum ab. Am nächsten Tag konnten dann die Ergebnisse (Lochband, Lochkarte oder Drucklisten) abgeholt werden.

War eine direkte Programmeingabe notwendig, hatte man dies mit Bedienschreibmaschinen (Geräte, die die Tastenanschläge an den Rechner senden und über ein Druckwerk dessen Antworten ausgeben) gemacht.


Betrieb und Personal

Pro Schicht arbeiteten an einer R300-Anlage bis zu acht Personen: Weiterhin waren 12-18 Personen pro Schicht in der Datenerfassung beschäftigt.

Der Betrieb der Anlage stellte besondere klimatische Anforderungen: Die Raumtemperatur wurde mittels Klimaanlagen auf möglichst 23°C gehalten. Die Innentemperatur des Kernspeichers sollte bei exakt 37°C liegen, wozu in der Einheit eine eigene Regelung verbaut war. Um einen stabilen Betrieb von ZE und HS zu gewährleisten, musste der Rechner nach dem Einschalten ca. 20 min warmlaufen. Als hochempfindliche Komponenten stellten sich auch die Lochkarten heraus, sodass die Empfehlung an die Rechenzentren herausgegeben wurde, die Lochkarten vor dem Einlesen 8h unter definierten klimatischen Bedingungen zu akklimatisieren.

Die meisten Programme waren so konzipiert, dass sie die Ergebnisse der Rechnungen auf Magnetband oder Lochkarte ausgaben und gleichzeitig dazu auf dem Drucker ausdruckten. Da dies wesentlich langsamer erfolgte als die anderen Ausgaben und außerdem erhebliche Mengen Papier verbrauchte, das nicht immer in ausreichendem Maße zur Verfügung stand, erfanden Wartungstechniker eine "Druckverhinderung" durch Simulation eines vollen Druckerpuffers. Diese Modifikation wurde bald vom Hersteller aufgegriffen und serienmäßig eingebaut und die Erfinder bekamen eine Neuerer-Prämie.


Hardware

Der R300 war durchweg mit Transistoren (150-kHz-Baureihe) aufgebaut und erreichte eine Rechengeschwindigkeit von ca. 5000 Operationen/s bei einer Taktfrequenz von 100 kHz. Die Zentraleinheit kannte 40 Grundbefehle, die hardwareseitig fest verdrahtet waren. Für die Verarbeitung wurde (unabhängig vom RAM) ein Akkumulatorspeicher mit einer Größe von 120 Bytes sowie 10 Indexregister mit jeweils 32 Bit Größe benutzt.


Bedienpult des R300

Bedienpult des R300

Der RAM war konstruktiv als Ferritkernspeicher aufgebaut und hatte standardmäßig eine Größe von anfangs 10 KByte, später 40 KByte, konnte aber theoretisch bis 128 KByte ausgebaut werden. Seine Zugriffszeit lag dabei bei 3 µs. Für die interne Datenspeicherung wurden bis zu vier Magnettrommelspeicher benutzt, die mit einer Zugriffszeit von 20 ms arbeiteten und jeweils eine Kapazität von 100.000 Bytes hatten.


Kernspeicherblock des R300

Der Stromverbrauch eines gut ausgestatteten R300 lag bei ca. 30 kW. Um den Weiterbetrieb der Anlage bei kurzzeitigen Stromschwankungen und -Ausfällen zu sichern, stand in einem Nebenraum ein Motor-Generator-Satz mit Schwungmasse. Jeder Rechnerschrank verfügte in seinem Kopf über ein eigenes Netzteil für die erforderlichen Logikspannungen (0V, +8V, -8V, -12V).

Die Zentraleinheit des R300 bestand aus mehreren Schränken mit herausklappbaren Schwenkrahmen. In diesen waren kleine Steckeinheiten mit jeweils 24 Kontakten gesteckt. Pro Steckeinheit waren eine oder wenige Logikfunktionen realisiert, z.b. ein Flip-Flop, ein Gatter, 5 Negatoren oder 2 Leseverstärker.

Einige R300 der DDR waren untereinander per Fernleitung (Kopplungen über DFE550 mit 1200 Baud unter Nutzung des Datensondernetzes) gekoppelt.


Zubehör

Am R300 wurden als periphere Geräte u.a. eingesetzt:


Bandlaufwerke am R300. Im 5. Schrank ist die Steuereinheit

ausgebautes Magnettrommellaufwerk des R300



Software

Programmiert wurde in den Sprachen MOPS (Maschinenorientierte Programmiersprache), ALGOL, Fortran und PL/1.
Robotron bot zu diesem Rechner normalerweise keine Anwenderprogramme an; die mussten also durch den nutzenden Betrieb erstellt werden. Ein Betriebssystem, wie es heute für jede Rechnerarchitektur teilweise mehrere gibt, war damals unbekannt. Sollte der Rechner effektiv genutzt werden, mussten von Seiten des Betreibers große finanzielle Mittel in Ausbildung und Arbeit des entsprechenden Personals investiert werden.


Verbreitung

Einige bekannte R300-Standorte: Ende der 1970er Jahre wurde der R300 allmählich von den ESER-Großrechnern abgelöst, die diesem an Rechenleistung bedeutend überlegen waren. Ein R300 hat bis heute als Museumsstück in den Technischen Sammlungen Dresden überlebt.


Letzte Änderung dieser Seite: 06.02.2023Herkunft: www.robotrontechnik.de